Gelegentlich zitieren wir schmunzelnd den Leitspruch einer ehemaligen Kollegin meiner Frau, die nicht mehr lange bis zur Rente hatte. Wenn die Sprache aufs Älterwerden kam, konnte man darauf warten, dass sie sagte: „Auch der Herbst hat sonnige Tage“.
Keine Frage, es gibt sonnige und warme Tage auch im Herbst. Die Prognosen verheißen in diesem Jahr sogar wieder so einen „goldenen Herbst“. In unseren Breitengraden inzwischen durchaus keine Seltenheit mehr, sondern eher die Regel. Das war nicht immer so. In den vergangenen Kaltzeiten Europas konnte es in unseren Breiten im Oktober auch schon lausig kalt und ungemütlich werden und erster Frost und Schneefall waren normal.
Aber bei dem genannten Spruch geht’s ja weniger ums Wetter als vielmehr um den „Herbst des Lebens“. Noch vor 100 Jahren begann der für die meisten Menschen schon mit dem 40. Lebensjahr, oft sogar noch früher, heute vielleicht zwischen 65 und 70.
Herbst verbinden wir mit dem Verwelken von Blumen und Blättern und dem Abschied von der Wärme des Sommers. Es ist die Jahreszeit des Wandels und der Vorbereitung auf den Winter, jener Jahreszeit, die meist als grau und melancholisch empfunden wird.
Aber im Herbst gibt es inmitten des Niedergangs und des Abschieds auch Momente der Helligkeit und Wärme. Da sind die bunten Blätter, die unter der warmen Sonne leuchten, es ist die Zeit der Ernte von reifen Früchten und Gemüse, und die gemütlichen Stunden vor dem Kaminfeuer lassen uns die Schönheit im Wandel genießen.
Als Metapher für das Leben selbst ist als Älterwerden wohl auch eine Phase des Wandels, zweifellos auch des Verlustes von bisher selbstverständlichen Dingen wie unverwüstlicher Energie, robuster Gesundheit und noch viel Lebenszeit vor sich. Nun ändert sich das und manches wird weniger. Die sonnigen Tage des Herbstes erinnern daran, dass das Leben trotz seiner Unberechenbarkeit und Vergänglichkeit kostbar ist und dass man die positiven Momente wertschätzen sollte, wann immer sie sich zeigen. Lichtblicke der Freude und des Glücks lassen sich durchaus finden, wenn man bewusst danach sucht.
„Auch der Herbst hat sonnige Tage“ kann also eine Lebensweisheit und Ausdruck einer Haltung werden, die das Älterwerden nicht nur erträglicher, sondern buchstäblich sonniger und zufriedener machen kann. Herbst bedeutet ja nicht nur Vergänglichkeit des Lebens, sondern ist auch Erntezeit. Nun kann man die Früchte seiner Arbeit und die Segnungen Gottes „ernten“ und sie genießen.
Darum ist der Herbst auch traditionell eine Zeit des Dankens. Dankbarkeit ist der Schlüssel zur Zufriedenheit und des inneren Gleichgewichts. Wer ein wenig nachdenkt, findet genügend Gründe, dankbar zu sein. Nicht zuletzt auch Gott zu danken, dem Geber aller guten Gaben. Deshalb heißt es in einem Lied von Matthias Claudius (1783): „Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.“
Text: Lothar Scheel
Foto: Gerald Hoffmann