Am 9. Juli 2025 treffen wir uns an der Fahrradbibliothek in Dresden-Löbtau. Das alte Klapprad aus DDR-Zeiten steht angeschlossen am Zaun, direkt unter einer Linde. Griffe, Rahmen und Bücherkiste sind klebrig von Honigtau.
Noch bevor wir anfangen, lernen wir einen jungen Mann von der Bücherzelle am Schillingplatz kennen. Er sucht ein gutes Buch für einen Familienangehörigen. Wir tauschen Kontakte aus, dann geht es los. Olga schließt das Rad ab, fährt in den Park am Bonhoefferplatz und beginnt mit der Reinigung. Ich schaue ihren geübten Griffen zu und mache mich dann auch an die Arbeit. Nach anderthalb Stunden, einigen Gesprächen und ungefähr ebenso vielen Gebeten ist das Fahrrad (fast) wie neu.
Zum Schluss entdecken wir am Zaun des Bonhoefferplatzes noch ein zweites Fahrrad, fest angeschlossen. Es steht dort schon ein Jahr, sagt Olga. Ein gutes Damenrad, Marke Douglas, der Vorderreifen ohne Luft. Spontan, und eigentlich unlogisch, beschließe ich, das Vorderrad aufzupumpen. Unser Gott ist ein Gott der Ordnung, denke ich. Aber es will nicht klappen, der Reifen ist zerschlissen, die Luft geht ins Ventil rein und zischt gleich daneben wieder raus.
Wem gehört das Rad? Am Lenker vorn und auf dem Gepäckträger hinten sind Körbchen montiert, mit Laub vom letzten Jahr. Damit kann man gut die Einkäufe transportieren. Hat die Besitzerin ihr Fahrrad vergessen? Oder musste sie die Stadt schnell verlassen und hatte keine Zeit mehr für ihr Rad? Olga und ich denken über die unbekannte Frau nach. Es geht gar nicht um Ordnung, denke ich. Es geht um etwas anderes. Wir beten für die Frau. Langsam senkt sich die Dämmerung. Die Tage werden bereits kürzer, für heute ist alles getan.
Fotos: Olga Kisselmann u. Andreas Schrock. Text: Andreas Schrock.
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