Februar ist Faschingszeit, die 5. Jahreszeit in den Hochburgen der Fastnacht. Aber nicht jede(r) kann dem närrischen Treiben etwas abgewinnen. In der Kindheit war Verkleidung der Renner. Egal ob als Räuber, Ritter, Cowboy oder Indianer (die gab’s damals noch). Je perfekter Verkleidung und Requisiten waren und je überzeugender man seine Rolle spielte, umso mehr Respekt hatte man. Die Lust am Verkleiden und
Rollenspiel liegt Kindern vermutlich im Blut.
Das änderte sich allerdings in der Pubertät. Sich so ungeniert zu verkleiden und sich „zum Affen machen“, ging dann doch nicht mehr so einfach. Was würden die anderen denken? Und wie kommt man an – beim anderen Geschlecht? Stark oder zumindest halbstark, cool oder sexy wollte man sein, aber sich nicht zum Narren oder Deppen machen. Und nun sieht man sie zur Faschingszeit, die Närrinnen und Narren, in
mehr, oft auch weniger lustigen, dafür umso albernen Klamotten. Erwachsene und ansonsten ganz vernünftige und seriöse Menschen ziehen ausgelassen durch die Straßen und klopfen sich bei Büttenreden auf die
Schenkel zu Kalauern, über die man meist erst lachen kann, wen man schon ein paar Hochprozentige gezwitschert hat. Auch Masken sind kein Problem mehr, selbst für Leute, die angesichts gesetzlicher Maskenpflicht vor kurzem noch gegen das Ende der Freiheit und den Untergang des Abendlandes demonstriert hatten.
Und doch scheint von diesem närrischen Treiben eine Faszination auszugehen. Liegt sie vielleicht darin, wenigstens einmal im Jahr ganz legal alle Konventionen zu vergessen, die einen sonst in gesellschaftliche und
soziale Korsetts zwängen? Da kann man hinter seiner Maskerade mal so richtig >die Sau rauslassen< und seine innersten und geheimen Wünsche wenigstens für ein paar Tage ausleben, ohne gleich entdeckt, be- und verurteilt zu werden. Ist das dann das >wahre Ich< oder ist es nur mein Schatten, der sonst in den Keller gesperrt wird wie ein böser Geist?
Auch wenn ich dem närrischen Treiben zur Fastnachtszeit nicht viel abgewinnen kann, verstehe ich die Sehnsucht vieler Menschen, wenigstens ab und zu dem oft allzu ernsten, zweckhaften, wohlgeordneten und konventionellen Leben wenigstens für eine kurze Zeit zu entfliehen. Mal sein können, wer und wie man gern sein möchte, auch wenn es vielleicht kindisch und albern ist. Eben mal wieder unbeschwert rumspinnen und in andere Rollen schlüpfen wie in Kindertagen.
Jesus hatte einmal den Erwachsen seiner Zeit zugerufen: „Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nichts vom Reich Gottes begreifen, geschweige denn hineinkommen.“
Gemeint hat er sicherlich nicht das exzessive Ausleben von allen möglichen und mitunter auch unmöglichen aufgestauten Wünschen und Phantasien in der Faschingszeit. Er meinte wohl eher das unverstellte, das echte Sein, wie es bei Kinder noch anzutreffen ist. Kinder können so ganz und gar in einer Rolle aufgehen, weil sie in dem Moment bei sich und darum ganz echt sind. Sie sind dann eben die Fee oder die Hexe, der Zauberer oder Batman. So drücken sie ihre Phantasie und Lebendigkeit aus. In diesem Sinne ist es gar nicht gespielt. Es ist echt.
Werden wie die Kinder – wie schön wäre es, wenn wir Erwachsenen wenigstens ab und zu zu solch echter und ursprünglicher Lebendigkeit und kindlicher Lebensfreude finden könnten – und sei es nur im Spiel oder
auch in der Faschingszeit.
Lothar Scheel. Foto: Matthias Gottke