Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.*
Typisch Christen-Sprache. Klingt gefühlsduselig. Da scheint jemand schon sehr weit aus dem realen Leben entrückt. Wir sehen ihn milde lächelnd über den Dingen schweben. Wer braucht denn heute so eine Idee?
Der Satz stammt von Jesus. Wenn wir Jesus in seiner Sprache zuhören könnten, würden die Worte viel kraftvoller klingen. „Selig“ ist nicht ein Zustand, den geübte Gläubige erreichen, sondern ist eine Gratulation: Du hast es gut. Du bist auf dem Weg in ein Leben, von dem viele träumen. Herzlichen Glückwunsch!
Jesus lädt besonders die Menschen ein, die bei uns nicht als Aufsteiger gelten würden. Denen es an Selbstbewusstsein mangelt. Die nicht jeden Vorteil für sich ausnutzen können. Die sich nicht im Wettbewerb durchsetzen. Die nicht ihr Glück herausfordern.
Wer freundlich ist, statt verbissen, eher mal dem anderen Platz macht als sich durchdrängelt, den bemitleidet oder tröstet Jesus nicht. Nein. Er beglückwünscht ihn. Denn Gott verspricht ihm Lebensraum.
Viele träumen davon und etliche erfüllen sich ihren Traum am Rand der Stadt: ein Haus auf einem eigenen Stückchen Land. Lebensraum, in dem ihre Kinder in Freiheit aufwachsen können. Und sie selber können dort später alt werden. Die Nachbarn sind freundlich, keiner geht ihnen auf die Nerven oder macht ihnen ihr Glück streitig.
Malt Jesus hier eine Utopie in die Luft? Die Welt in der wir leben, funktioniert doch anders. Wer ein Eigenheim besitzen möchte, muss sich anstrengen und viel leisten. Und jemand der überzeugt ist, er müsse fremde Landstriche erobern, setzt Gewalt ein, viel Geld und tödliche Waffen.
Jesus sagt diesen Satz, als er das Manifest des Reiches Gottes verkündet. Er erklärt, wie sich das Leben dort entfaltet, wo Gott das Sagen hat. Gott erobert nicht Land oder Leute, um seinen Einfluss geltend zu machen. Vielmehr lädt er Menschen ein, das Leben nach seiner Gebrauchsanweisung auszuprobieren. Gott setzt darauf, dass sich diese Lebenseinstellung ausbreitet. So wie Saat aufgeht und die Pflanzen heranwachsen. Gewaltfrei, aber angetrieben aus der unbändigen Kraft der Schöpfung.
Text und Foto: Simon Krautschick
*Matthäus 5,5. Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Die Verwendung des Textes erfolgt mit Genehmigung der Deutschen Bibelgesellschaft.