Wir begegnen „ihnen“ hier und da in der Stadt, auf dem Fußweg sitzend oder Einkaufswagen mit vielem Gepäck vor sich herschiebend, auf Bänken oder unter Büschen schlafend: den Wohnungslosen.
Sie passen nicht so recht ins Stadtbild, ihr Anblick mag abstoßend oder wenigstens peinlich wirken. Vielleicht stellt sich doch einmal jemand die Fragen: Wie geht man mit ihnen um? Sind sie nicht selber schuld an ihrer Situation?! Sie könnten doch arbeiten gehen und sich so eine Wohnung leisten! Oder sind sie einfach nur zu faul zum Arbeiten und leben schmarotzerisch auf Kosten anderer?! Solche Vorurteile sind schnell gefällt, jene Menschen schnell abgetan. Und WIR? Sehen auch WIR einfach weg oder weichen ihnen aus? Ist dieses Problem allein Sache des Staates oder sind wir hier als Kirche, als Christen gefordert? Doch haben wir denn nicht genug damit zu tun, den christlichen Glauben in dieser atheistischen Welt am Leben zu erhalten?!
Jesus Christus sagt: Ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen.
Jesus trifft in seiner Rede über das Weltgericht (Mt. 25, 34.35.40.45) folgende Aussagen: Dann wird der König zu denen auf seiner rechten Seite sagen: „Kommt, ihr seid von meinem Vater gesegnet, ihr sollt das Reich Gottes erben, das seit der Erschaffung der Welt auf euch wartet. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig und ihr gabt mir zu trinken. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich in euer Haus eingeladen.“
Nach den erstaunten Rückfragen der Jünger erklärt Jesus: „Ich versichere euch: Was ihr für einen der Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan! Was ihr bei einem der Geringsten meiner Brüder und Schwestern unterlassen habt, das habt ihr auch an mir unterlassen!“
Na ja, diese Wohnungslosen sind eher nicht meine Brüder und Schwestern, gehören ja nicht zur Kirche; außerdem haben wir genug Bedürftige in unseren eigenen Reihen, denen unsere Unterstützung gilt! So haben auch die Pharisäer gedacht; der Begriff „Nächster“ galt nur für die eigenen Volksgenossen! Doch bei aktiver Nächstenliebe ist die Frage nach irgendeiner Zugehörigkeit nicht relevant; das hat Jesus mit seinem Gleichnis vom barmherzigen Samariter klargestellt!
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Wir sind also gefordert und – wir stehen ja auch gar nicht abseits! Zwar sind die Räumlichkeiten der Adventgemeinden dieser Region nicht für die nächtliche Betreuung der Wohnungslosen geeignet, doch Ihr unterstützt diese Arbeit mit Euren Spenden; wie schon letztes Jahr, so auch heute! Damit praktiziert Ihr bereits biblische Nächstenliebe! Meine Einleitung bezüglich unserer Haltung gegenüber der Wohnungslosen war also keine Kritik oder Mahnung; vielmehr ein neuer, motivierender Anstoß, Eure Unterstützung fortzusetzen!
Bevor ich Euch noch einige Details zu der Dresdner Nachtcafé-Arbeit mitteile, möchte ich Euch einige persönliche Eindrücke und Erfahrungen, die ich in dieser Arbeit sammeln durfte, ja musste, mit Euch teilen. Zuerst musste ich lernen, dass die sogenannten „Obdachlosen“ nicht als solche, sondern als „Gäste“ betrachtet und auch so bezeichnet werden! Alle diskriminierenden Gedanken oder gar Worte sind lieblos und darum unangebracht! Auch das Hinterfragen oder Kritik bezüglich der Lebensweise unserer Gäste steht uns Betreuern nicht zu! Wenn allerdings Gäste Gesprächsbedarf signalisieren oder um Rat oder Hilfe bitten, sind wir natürlich gefordert und bekommen so auch Einblick in deren Lebenssituation. Ich habe mir angewöhnt, zu meiner Nachtschicht Spiele mitzubringen und anzubieten. In solchen ungezwungenen Spielrunden öffnen sich dann manche Gäste und erzählen von ihren Befindlichkeiten oder Nöten. Das gibt Gelegenheit, seelsorgerlich zu arbeiten.
Viel Beherrschung kostet es mich allerdings, wenn die Gäste über zu schwachen Kaffee, über nicht ganz getrocknete Wäsche oder andere Kleinigkeiten beschweren! Da denke ich (im Stillen): Ihr werdet hier so gut versorgt, warum müsst ihr auch noch meckern! Nicht zu vermeiden sind allerdings Zurückweisungen alkoholisierter oder Ausweisungen (meist mit polizeilicher Unterstützung) gewalttätiger Gäste!
Diese Arbeit im Nachtcafé erfordert viel Geduld, Verständnis, Selbstbeherrschung und Überwindung liebloser Reaktionen. Es ist für mich ein nicht endender Lernprozess in der Ausübung praktischer Nächstenliebe!
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Nun noch einige Fakten zur Dresdner Nachtcafé-Arbeit:
- 7 Kirchgemeinden der Stadt stellen ihre Räume (Schlafraum, Küche, Aufenthaltsraum, Bäder) sowie die notwendigen Ausrüstungen & Gerätschaften (Bettzeug, Geschirr, Waschmaschinen, Kühlschränke usw.) zur Verfügung. Es sind eine katholische, eine methodistische und evangelische Gemeinden.
- Von Anfang November bis Ende März finden die Wohnungslosen also jede Nacht eine Bleibe! Die Übernachtungsplätze schwanken je nach der Kapazität der Räume zwischen 20 und 35! Bei höherem Bedarf hält auch die Stadt Plätze vor (sie ist dazu verpflichtet, bietet aber nur Schlafplätze an).
- Für den Nachtdienst sind 2(!) bezahlte Hauptamtliche von der Diakonie angestellt; sie betreuen im Wechsel jedes Nachtcafé. Die Spät- und Frühdienste und eine zweite Person im Nachtdienst werden ausschließlich von Ehrenamtlichen besetzt!
- Im Nachtcafé Laubegast sind 37 Ehrenamtliche an der Arbeit beteiligt; bei den anderen Kirchgemeinden ist deren Anzahl ähnlich.
- Die Spätschicht (in Laubegast) ist für die Heranschaffung des Essens (Suppe und Lunchpaket von einer Firma, nach 18 Uhr Warenspenden von Bäcker und Fleischer) und den Aufbau der Schlafstätten verantwortlich, ebenso für die Zubereitung und Darreichung des Abendbrotes.
- Um 19 Uhr werden die Gäste gegen einen „symbolischen“ Eintrittspreis von 1 Euro nach erfolgter Taschenkontrolle (Alkohol ist tabu!) eingelassen und die Betreuung beginnt.
Der ganze Dienst wird ausschließlich durch Spenden finanziert! Großspenden gehen an die Diakonie, die davon die Hauptamtlichen Mitarbeiter bezahlt; über die Kollekten der Gemeinden werden die übrigen Kosten abgedeckt. Für die Ausstattung der „Cafés“ müssen die einzelnen Gemeinden in Eigenleistung aufkommen!
Während der letzten Saison wurden 3.350 Gäste betreut! In der nächsten Saison ab November 2025 feiern wir bereits das 30. Jubiläum dieser Arbeit! Und noch ein letzter Fakt: Dieses Dresdner Konzept der Nachtcafé-Arbeit ist in ganz Deutschland einmalig!! Andere Städte haben zwar ähnliche, jedoch nicht so umfängliche Dienste eingerichtet. Da sind wir Sachsen wieder einmal Vorreiter auf dem Gebiet praktischer Nächstenliebe! Möge es so bleiben!
Joachim Wendler, Dresden
Redaktion: Andreas Schrock. Fotos: Andreas Schrock sowie Pfadfinder/Stamm Dresdner Löwen.
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Nachtcafés der Dresdner Kirchgemeinden (keine Haftung für externe Links)