Seit dem tödlichen Unfall in Reick fühle ich mich auf Dresdens Straßen nicht mehr sicher. Mal sind es die Autofahrer, die hupen und Gas geben. Mal sind es die Radfahrer, die – schlecht sichtbar – von irgendwoher angeschossen kommen. Was kann ich tun?
Vor kurzem bin ich als Radfahrer mit einem Auto zusammengestoßen. Wir waren beide nicht schnell. Trotzdem ging der Aufprall irre schnell. Ein Klick und weg. Ich lag auf dem Asphalt. Es nieselte. Ein Ersthelfer spannte eine Regenschirm über mich. Kurz darauf schnitten Sanitäter meine Hose auf, um an das verletzte Bein zu kommen. Von unten nach oben, ritsch-ratsch. Als ich die Situation nicht mehr verarbeiten konnte, hielt eine Notärztin meine Hand. Und dann sagte jemand, den ich nicht sehen konnte: „Wir wollen mal auch an den Autofahrer denken. Der macht sich bestimmt Gedanken.“ Ja, was war eigentlich mit dem Autofahrer?
Seit dem Unfall geht mir ein Satz aus der Bergpredigt nicht mehr aus dem Kopf: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen (Matth. 5,5).Sanftmut heißt: Mutig und trotzdem sanft sein. Konsequent und trotzdem maßvoll handeln. Klar, wer Auto fährt, muss aufs Gaspedal treten, sonst wird er zum Verkehrshindernis. Und wer auf dem Rad sitzt, muss schon radeln, sonst fällt das Fahrrad um. Ohne Mut wird das nix im Straßenverkehr. Aber auf die Dosis kommt es an. Das Gegenteil von Sanftmut ist übrigens Hochmut.
Merkwürdig: Jesus redet in der Bergpredigt nicht von Schuld. Er redet auch nicht von Gesundheit. Er sagt nur, wem die Erde gehören wird: Nicht den Aggressiven, nicht den Verzagten, sondern den Sanftmütigen. Das ist eine Haltung, mit der man sich gut auf die Straße trauen kann.
Text/Foto: Andreas Schrock