Monatsandacht Juni: Panta rhei

Mai 30, 2024

„Panta rhei“ – alles fließt, meinte der griechische Philosoph Heraklit von Ephesos um 500 v.Chr. Nichts bleibt wie es ist. Das Leben ist Bewegung und ständige Veränderung. Alles Sein ist Entwicklung, ein ständiges Werden – und auch Vergehen.

Um das zu erkennen muss man freilich kein Philosoph sein und es wird einem nicht nur am Jahresbeginn oder zum Geburtstag bewusst. In der Kindheit schien die Zeit noch endlos zu sein. Aber je älter man wird, desto schneller scheint sie zu vergehen. „Chronos“ war bei den alten Griechen der Gott der Zeit. Es war auch der Begriff für die Zeit als unaufhörlicher Zeitfluss. Alles fließt und zerfließt, die Zeit zerrinnt zwischen den Fingern wie trockener Sand und lässt sich nicht anhalten.

Wenn sich der Fluss der Zeit schon nicht aufhalten lässt, kann man ihn vielleicht verlangsamen oder festhalten? So halten wir besondere Zeiten, Feste oder Jubiläen in Bildern und Videos fest. Oder wir versuchen „Zeit zu gewinnen“ indem alles schneller erledigt, die knappe Zeit so effektiv wie möglich genutzt und möglichst viel hineingepackt wird. Aber mehr Zeit gewinnen wir dadurch nicht, meistens nicht einmal das Gefühl, mehr Zeit gehabt oder in der verfügbaren Zeit mehr erlebt zu haben. Eher im Gegenteil.

Die Bibel zeigt jedoch eine geniale Möglichkeit, den unerbittlichen Fluss der Zeit zwar nicht anzuhalten, aber doch zu unterbrechen. An jedem 7. Tag der Woche ist Sabbat, an dem man nach jüdischer Vorstellung den üblichen Fluss der Zeit verlässt. Die Zeit wird geradezu angehalten, alles bleibt einfach stehen und liegen wie es ist, nichts wird erledigt, hinein oder obendrauf gepackt. Die Zeit steht still und das Leben, das Mensch-Sein, wird gefeiert. „Am Sabbat lebt der Mensch als hätte er nichts, als verfolge er kein Ziel außer zu sein, d. h. seine essentiellen Kräfte auszuüben – beten, studieren, essen, trinken, singen, lieben.“ (Erich Fromm, Haben oder Sein, S. 57).

Damit entsteht mitten im Zeitfluss, dem „Chronos“ etwas Neues, das die Griechen „Kairos“ nannten. Kairos bedeutete auch „Zeit“, aber als besonderer oder günstiger Moment. Kairos ist die Zeit, die aus dem Fluss der Zeit gefallen ist. Ein Kairos kann jederzeit ins Leben treten und kommt doch oft unverhofft und ungeplant. Wer ihn verpasst, kann ihn nicht nachholen.

„Meine Zeit steht in Deinen Händen“ heißt es in Psalm 31,5. Aus Gottes Hand kommt die Lebenszeit, die wir wie einen unaufhaltsamen Fluss erleben. Aus seiner Hand kommt aber auch der besondere Augenblick, der glückliche Moment, die ganz besondere Begegnung, das unverhoffte Wiedersehen, die gelungene Zeit. Und auch jeder Sabbat ist so ein aus der Zeit gefallener Moment, ein Geschenk aus Gottes Hand.

Text: Lothar Scheel

Foto: AdiJapan – Eigenes Werk, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=602619

Verlag am Birnbach - Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen

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