Endlich schönes Wetter, endlich Sonne pur – endlich wieder Grillsaison. Aber was finden die Leute eigentlich am Grillen?
In geradezu archaischer Manier versammeln sich zivilisierte Mitteleuropäer und Feinschmecker, die zu Hause allesamt Hightech-Automatik-Kochmaschinen mit allem erdenklichen Schnick-Schnack und vielen Raffinessen haben, um ein Holzkohle-Feuer, das raucht und stinkt, wo man schmutzige Hände bekommt, sich die Finger verbrennt und am Ende einer mühseligen Prozedur ein halbrohes Stück Fleisch, eine angekohlte Wurst oder auf einen Holzspieß gefädeltes verbrutzeltes Gemüse bekommt.
Es gibt viele Theorien, was Menschen dazu treibt, eine derart primitive Kochkultur mit so viel Hingabe zu pflegen. So viel ist sicher: Grillen ist in erster Linie ein Männerding. Männer haben die Lufthoheit über den heimischen Grill. Sie binden sich freiwillig eine Schürze um, bewaffnen sich mit einer Grillzange und einer Flasche Bier – freilich nur zum Ablöschen des Feuers – und braten Fleisch über offenem Feuer, so wie schon in der Steinzeit.
Aber warum tun Männer das? Manche meinen, das habe was mit archaischen Urinstinkten im Manne zu tun, der seine erlegte und zerlegte Beute über dem offenen Feuer brutzelt und die Sippe ernährt. Er sei dann ganz stolz drauf und fühle sich dann als Beherrscher und Hüter des Feuers, während er für den Abwasch hinterher bis heute deutlich weniger Begeisterung zeigt. Er steht übrigens auch längst nicht so gern am Herd in der Küche wie am offenen Grill. Aber so ganz kann das auch nicht stimmen, denn auch in der Steinzeit hat nicht der Mann das Feuer bewacht, sondern die Frau.
Viele mögen einfach den rauchigen Grillgeschmack von Fleisch und Gemüse, wäre eine nächste Vermutung. Stimmt. Schmeckt halt irre gut, wenn auch nicht jedem.
Wieder andere mögen das rustikale Ambiente: Keine Etikette, keine Konventionen und Standesunterschiede. Der feine Pinkel aus dem Vorstand und der einfache Handwerker vom Bau sind gleich. Alle haben sie fettige Finger und es tropft ihnen die Grillsauce auf die Jeanshose.
Mag alles irgendwie richtig sein. Aber ich denke, es ist noch etwas anderes. Richtiges Grillen hat nichts mit „to go“ zu tun, wo man sein Essen schnell mal zwischendurch auf die Faust nimmt. Es ist auch kein Tafeln in gepflegter Runde. Dazu geht man schließlich ins Restaurant an eine Tafel mit weißem Tischtuch.
Beim Grillen ist man draußen in der Natur. Man nimmt sich Zeit zum gemeinsamen brutzeln und wartet geduldig, bis man seine Wurst, sein Steak oder seinen Tofu-Bratling bekommt. Deshalb reimt sich Grillen nicht nur auf Chillen, sondern hat viel damit zu tun. Chillen – zu Deutsch: Abtouren, Rumhängen, Abhängen – und das am besten mit Freunden – ist nicht nur bei Jugendlichen beliebt. Es ist herrlich, gerade in unserer hektischen Zeit, also eine besondere Form von schöner Gemeinschaft mit Freunden oder Menschen, die man mag. Deshalb grillt man auch nicht mit Leuten, die man eigentlich nicht mag.
Man hat Zeit, man redet miteinander und isst möglichst ausgiebig zusammen. Und die Ehefrau schaut nicht vorwurfsvoll, wenn sich der Gatte schon die 5. Wurst holt. Die Frauen müssen nichts kochen, sondern sind nur für den Nudelsalat oder ähnliche Beilagen zuständig. Herrlich! Sie können sich also entspannen und ungestört unterhalten, ohne dass ihre Männer die Augen verdrehen oder auf die Uhr schauen weil das Fußballspiel beginnt.
Und noch etwas fällt auf: Wer grillt, streitet nicht. Oder wer hat schon mal einen Grillabend erlebt, bei dem man sich gestritten hat? Das geht gar nicht. Beim Grillen kann zwar eine Menge schief gehen: Beim Anzünden können Stichflammen aus der Spiritusflasche schießen, der Grill kann umfallen, das Fleisch verbrennen und anderes mehr. Nur wirklich richtig heftig streiten kann man sich nicht – schon gar nicht über Themen, über die man sich sonst in der Kirche gern streitet. Grillen ist irgendwie realer und handfester, und auf jeden Fall nahrhafter als manche Streitthemen in der Kirche.
Grillen ist deshalb vielleicht so etwas wie ein modernes Gemeinschaftsmahl. Von den ersten Christen heißt es in der Apostelgeschichte, dass sie sich bei Leuten zu Hause zu gemeinsamen Mahlzeiten getroffen hätten. Das war kein Abendmahl im heutigen rituellen Sinn, sondern man hat richtig miteinander gegessen und sich dafür Zeit genommen. Das war also eher vergleichbar mit einem Grill-Abend als mit einem heutigen Abendmahl. Und deshalb sagt man unter Christen auch nicht nur „Mahlzeit“ oder „Guten Appetit“, sondern das gemeinsame Essen ist gleichsam eine Einladung Gottes: „Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist.“ (Ps. 34,8) So kann man beim Grillen und Chillen nicht nur erleben, wie gut es schmeckt, sondern auch wie gut Gemeinschaft tut und wie gut es ist Gott in unserer Mitte zu haben.
Text: Lothar Scheel
Foto: Kornelius Dorn