Erst zuhören, dann machen!

In diesem Frühjahr besuchten wir die Westerplatte in Danzig. Diese langgestreckte Halbinsel ist vor allem aufgrund des Angriffes auf das dort befindliche Munitionslager durch das Kriegsschiff „Schleswig-Holstein“ am 1. September 1939 bekannt geworden. Dieser Tag markiert den Beginn des Zweiten Weltkrieges. Der Angriff wurde unter anderem durch den Hitler-Stalin-Pakt (unterzeichnet am 24. August 1939) ermöglicht, der Deutschland garantierte, keinen Zwei-Fronten-Krieg führen zu müssen. Der bis Mai 1939 amtierende Außenminister der Sowjetunion, Maxim Litwinow, jüdischer Herkunft, warnte eindringlich vor einem Bündnis mit Hitler. Seine Versuche, sich den Westmächten anzunähern, wurden jedoch nicht erhört, und er wurde durch Wjatscheslaw Molotow ersetzt, der als Architekt dieses Nichtangriffspakts gilt und damit den Weg für den Zweiten Weltkrieg ebnete.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges jährt sich in diesem Jahr zum 85. Mal. Für mich war es deprimierend zu sehen, dass heute an diesem historischen Ort Verkaufsstände aufgebaut sind, die Gasmasken, Spielzeugwaffen und -kriegsgeräte an Kinder verkaufen. Ein kleiner Junge rannte schießend mit seinem „Gewehr“ über den Platz, während im Hintergrund in großen Lettern auf Polnisch zu lesen war: „Nie wieder Krieg“.

Was lernen wir wirklich aus der Geschichte?

Als Jesus von einem Trupp römischer Soldaten in Begleitung bewaffneter Diener der Schriftgelehrten und Hohenpriester gefangen genommen werden sollte, fragten seine Jünger, ob sie ihn mit dem Schwert verteidigen sollten. Ohne die Antwort Jesu abzuwarten, schlug Petrus dem Diener Malchus das rechte Ohr ab. Doch Jesus schritt sofort ein und untersagte eine weitere Eskalation. Aber nicht nur das: Jesus berührte das Ohr des Mannes und heilte ihn (Lukas 22,47-53; Johannes 18,1-14).

Mich beeindruckt diese Handlung sehr, gerade weil sie den weiteren Verlauf des Geschehens nicht beeinflusste. Jesus stellte die Hörfähigkeit seines Gegners wieder her. Mit dem Schwert – ob aus Stahl oder mit der Zunge – auch mit der besten Absicht zu agieren und damit dem anderen die Fähigkeit zum Zuhören zu nehmen, entspricht nicht dem Wesen eines Nachfolgers Jesu.

Kriege in dieser Welt – ob zwischen Völkern, Machtblöcken, in Familien, Schulen, Gemeinden, Kirchen oder Ehen – entstehen immer dann, wenn einander nicht mehr zugehört wird.

Auf einem Wahlplakat in Dresden las ich: „Erst zuhören – dann machen.“

Stecken wir das Schwert ein und bitten Gott um Heilung, damit wir einander zuhören können. Bitten wir ihn darum, dass wir nicht leichtsinnig die Stimmen der Geschichte verstummen lassen, indem wir aus der Geschichte ein Fantasyland machen.

Lasst uns die „Waffen“ der gegenseitigen Bedrohungen, Verdächtigungen, des Misstrauens, der Angstmache, der Unterstellung und der Demütigung einstecken. Hören wir auf die Stimme der Menschlichkeit, auf die Werte, die uns Jesus vermittelt, und auf die Stimmen der Vergangenheit. Dann können wir weise Entscheidungen für die Zukunft treffen.

Gott heile unser inneres Ohr und segne uns als Einzelne und als Volk in diesem Monat der Entscheidung, damit wir die Zukunft gestalten können.

 

Text und Bild von Gerald Hoffmann